Freitag, 10. Mai 2013 Nordwestschweiz www.oltnertagblatt.ch, Seite: 19

«Tote Vögel und Fledermäuse sind nicht erneuerbar»


VON UELI WILD

Laupersdorf
Der Naturschutzbiologe Marc Kéry beleuchtete das Verhältnis zwischen Biodiversität und dem Nutzen von Windparks

Marc Kéry ist für die Vogelwarte Sempach sowie an der Universität Zürich als Privatdozent für Naturschutzbiologie tätig. Ein Thema, das den Ornithologen stark beschäftigt, ist das Gefahrenpotenzial für Vögel, das in Windkraftwerken (WKW) lauert. Auf Einladung der Interessengemeinschaft Naturschutz Thal (INT) kam Kéry nach Laupersdorf – jene Thaler Gemeinde, in welcher derzeit das Nutzungsplanverfahren für einen Windpark auf der Schwängimatt läuft –, um über «Windkraftwerke aus der Sicht der Biodiversität» zu referieren. Kéry machte von Anfang an klar, dass er zwei Rollen spiele: zum einen jene des Wissenschafters, der die Fakten aufzeigen wolle, denen er verpflichtet sei, zum andern jene eines Menschen, dem daran gelegen sei, die Biodiversität, die natürliche Vielfalt auf Stufe Gene, Populationen und Arten möglichst zu erhalten.

Unfalltod: Vögel und Fledermäuse

Von WKW am stärksten betroffen seien diesbezüglich Vögel und Fledermäuse. Die Rotorblätter-Enden der Turbinen drehen sich nach Kérys Angaben mit Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h, was enorme Luftumwälzungen bewirke. Vor allem grössere Brut- und Zugvögel riskierten mit den Rotorblättern oder auch mit dem Mast zu kollidieren. In Norwegen etwa seien bei WKW seit 2005 rund 40 kollidierte Seeadler gefunden worden. Und in Spanien, wo es riesige Windparks gibt, seien seit dem Jahr 2000 rund 1000 tote Gänsegeier zu beklagen. Ein Bericht der Vogelwarte Sempach, so Kéry weiter, zeigt deutlich auf, dass grosse Greifvögel eine weit ausgedehntere Pufferzone benötigen als etwa die seltene, auf nährstoffarmen Juraböden beheimatete Heidelerche. Kéry wies darauf hin, dass bei den Fledermäusen die Todesursache in der Nahe von WKW zumeist der Überdruck beziehungsweise Unterdruck ist, der vor respektive hinter den Rotorblättern entsteht und so die Lunge des Tieres derart beschädigt, dass dieses innert weniger Minuten erstickt.
Natürlich, räumte Kéry ein, hätten Katzen und andere Ursachen auch Millionen von Vögeln auf dem Gewissen. Dennoch sei es falsch zu denken, auf ein paar zusätzliche tote Vögel komme es auch nicht drauf an. Beim Bartgeier etwa würden drei statt zwei tote Individuen pro Jahr eine stabile Population bereits in eine abnehmende verwandeln. Oder eine stabile Rotmilan-Population, so Kéry weiter, liesse sich mit gegen 25 Turbinen ebenfalls in eine abnehmende verwandeln. Spezifisch für die Schwängimatt nannte der Referent drei aufgrund der jeweils erforderlichen Pufferzone sensible Arten. Im Bereich der geplanten Anlage sind Wanderfalken (2) nachgewiesen, ebenso ein Uhu-Horst. Kéry erinnerte auch daran, dass vor zwei, drei Jahren – erstmals wieder seit rund 150 Jahren – Steinadler im Jura gebrütet haben.

Gefahr des Aussterbens

Auch die Infrastruktur von WKW – Zufahrtsstrassen, Leitungen, Betonfundament, Lärm et cetera – haben Lebensraumveränderungen zur Folge. Es möge sein, so Kéry, dass die davon betroffenen Arten die Umgebung von WKW zunehmend meiden würden. Damit nehme zwar die unmittelbare Lebensgefahr ab, doch die damit verbundene Reduktion des Lebensraums führe zu einer Verkleinerung der Population, womit das Risiko des Aussterbens zunehme. Und auch wenn es zynisch tönen möge, sei es so: «Tote Vögel und Fledermäuse sind nicht erneuerbar.»
Kéry zeigte in der Folge anhand der Windenergiekarte auf, dass die Windverhältnisse auf der Schwängimatt nur gerade an zwei Stellen einigermassen den Anforderungen von WKW entsprechen. Und er rechnete vor, dass man 2283 Turbinen des auf der Schwängimatt geplanten Typus' betreiben müsste, um das AKW Gösgen-Däniken zu ersetzen. WKW seien, realistisch gesehen, kein Mittel um die Schweizer AKW zu ersetzen. Das heisst nicht, dass sie nicht sinnvoll seien in andern Gegenden Europas, wo die Windverhältnisse stimmen würden. «In Norddeutschland kann die gleiche Turbine viermal mehr Energie erzeugen als bei uns oben auf dem Berg.» Und es heisse auch nicht, dass wir die AKW nicht abstellen sollen.» Hingegen könne der Entscheid für oder gegen WKW unter den gegebenen Umständen getrost unabhängig vom Entscheid für oder gegen AKW gefällt werden. Oder andersrum gedreht: Man dürfe sich mit gutem Gewissen für die Biodiversität, für das Leben der Vögel und der Fledermäuse entscheiden.

Auch wenn die Schwängimatt als Windparkstandort im kantonalen Richtplan aufgeführt sei, heisse das nicht, dass der Kanton schon ja gesagt habe, machte Edgar Kupper in der Publikumsdiskussion im Anschluss an das Referat von Marc Kéry klar. Kupper, CVP- Kantonsrat und Bürgergemeindepräsident von Laupersdorf, verlangte vom Einwohnergemeinderat, dass die Bevölkerung über das Nutzungsplanergebnis informiert wird, bevor dieses zur Vorprüfung weitergeleitet wird. Mit dem Nutzungsplanverfahren könne die Gemeinde selber abwägen. Aber man müsse mit der Bevölkerung und mit den Nachbargemeinden reden. Da sei in Laupersdorf bisher zu wenig geschehen. Auch die Bürgergemeinde sei bis jetzt nicht mit den Plänen bedient worden. Der Juraschutz, so Kupper weiter, sei jetzt 70 Jahre lang konsequent durchgesetzt worden. «Und jetzt sollen wir derart verunstaltende Bauten zulassen?» Und: «Die Frage des ‹höheren Interesses› scheint mir in Bezug auf den Windpark Schwängimatt geklärt ...» Ausgedeutscht hiess das etwa in den Worten von Kurt Bader: «Die Windkraft ist nicht höher zu gewichten als unsere unberührte Landschaft – diesen Preis ist die Windkraft nicht wert.» Das war, wie aus zahlreichen Voten herauszuhören war, die Meinung der grossen Mehrheit der rund 60 ins Gemeindezentrum Laupersdorf gekommenen Interessierten. Anderer Meinung war ein junger Mann, der den Beitrag der Windenergie an die Energiewende aus Überzeugung höher gewichtete als Landschaftsschutz und Biodiversität. Eine aus dem Ruhrpott stammende Dame lehrte die Anwesenden, man gewöhne sich, wie sie aus eigener Erfahrung wisse, an alles. SVP- Kantons- und Gemeinderat Beat Künzli tadelte, dass niemand Lösungen vor der eigenen Haustür befürworte. «Wir kommen vielleicht nicht darum herum, auch mal zu etwas Unschönem ja zu sagen.» Demgegenüber bilanzierte Moderator Stefan Müller, CVP-Nationalrat und Gemeindepräsident von Herbetswil, wie auch Marc Kéry gezeigt habe, seien Windkraftwerke nicht vordringlich, wenn es um die «Energiewende» gehe.

EDGAR KUPPER: «FRAGE DES HÖHEREN INTERESSES SCHEINT GEKLÄRT ...»

 



schliessen